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Im Bahn-Tarifstreit stehen die Signale auf Eskalation

Feb 28, 2023
Protestkundgebung vor der ersten Runde der Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft EVG und der Deutschen Bahn in Fulda. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sebastian Gollnow/dpa)

Im Tarifstreit der Deutschen Bahn werden Warnstreiks nach einer ergebnislosen ersten Runde wahrscheinlicher. Personalvorstand Martin Seiler ging am Dienstag entgegen den Forderungen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ohne Angebot in die Verhandlungen für die rund 180 000 Beschäftigten des Konzerns in Fulda. Bereits nach zwei Stunden wurden die Gespräche daraufhin unterbrochen – und der Tonfall zwischen den Parteien verschärfte sich deutlich.

EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch machte im Anschluss klar, dass die Gewerkschaft nur bei einem Angebot des Arbeitgebers die Gespräche wieder aufnehmen will. «Wir möchten mit Substanz reden», sagte Loroch in einer Online-Pressekonferenz. «Offensichtlich hat das Unternehmen überhaupt kein Interesse daran, einen Abschluss am Verhandlungstisch zu erzielen, sondern provoziert bewusst einen Arbeitskampf.» EVG-Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay ergänzte: «Wir setzen uns in dem Moment hin, wo ein Angebot vorliegt.»

«Sehr komplexe Tarifverhandlungsrunde»

Bahn-Personalvorstand Seiler bezeichnete die Unterbrechung der Verhandlungen als «völlig unnötig». «Die EVG hat verlangt, dass wir ohne inhaltliche Erörterung ein Angebot vorlegen – und das ist aus unserer Sicht derzeit nicht möglich.» Es liege ein «massives Paket» mit 57 Forderungen auf dem Tisch, «da müssen wir zunächst den Rahmen abstecken, priorisieren und dann in die Details einsteigen.» Man sei irritiert, dass die EVG nicht bereit gewesen sei, über Inhalte zu sprechen, sondern «als Vorbedingung auf einem Angebot beharrte». Bereits vor Beginn hatte Seiler deutlich gemacht, dass man sich auf eine «sehr komplexe Tarifverhandlungsrunde» einstelle.

Die Gewerkschaft fordert in der Tarifrunde unter anderem mindestens 650 Euro monatlich mehr für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei den höheren Entgelten will die Gewerkschaft eigenen Angaben zufolge eine Steigerung um zwölf Prozent erreichen. Für die Nachwuchskräfte fordert die EVG 325 Euro mehr im Monat. Die Laufzeit soll zwölf Monate betragen. Neben der Deutschen Bahn verhandelt die Gewerkschaft in den kommenden Wochen auch für 50 weitere Unternehmen der Branche und geht dabei jeweils mit den gleichen Forderungen in die Gespräche.

Man verlange von der Bahn kein umfassendes Angebot, aber «wir müssen schon wissen, mit welcher Vorstellung der Arbeitgeber da reingeht», sagte Loroch. Ein für April geplanter Verhandlungstermin sei für die Gewerkschaft nun eine «Terminoption», sagte Ingenschay. «Wir verhandeln aber gerne früher weiter». «So gar nichts Schriftliches mitzubringen, halte ich für denkwürdig und für kulturell überholt», meinte Loroch.

Zum Verhandlungsbeginn hatten rund 150 Beschäftigte die Forderungen der Gewerkschaft bei einer Protestkundgebung vor dem Tagungshotel untermauert. Dabei hielten sie Schilder hoch mit Aufschriften wie «Keine Verzögerungstaktik, sofort verhandeln. Wir sind kampfbereit!» Zu den Teilnehmern der Kundgebung sagte Loroch, man werde bei den Gesprächen «die Wertschätzung und den Respekt in barer Münze» einfordern, die während Corona zugesagt worden seien. Man verlange von dem Arbeitgeber deshalb, ein erstes Angebot auf dem Tisch zu sehen.

Nächste Gesprächen am 14. und 15. März

Loroch warnte die Bahn auch davor, die Reisenden als «Spielball» gegen die Beschäftigten zu nutzen und diese schon jetzt in Warnstreiks hineinzutreiben. Zum Zeitplan bekräftigte der Gewerkschafter, dass nach den ersten Gesprächen mit den anderen 50 Unternehmen, die voraussichtlich bis Ende März dauern wird, erste Aktionen möglich seien. «Unser Credo ist eine gemeinsame Runde», sagte Loroch, «Alle sollen die Chance bekommen haben, mit uns einmal zu sprechen, und dann werden wir in entsprechende Maßnahmen gehen oder auch nicht gehen.»

Bahn-Personalvorstand Seiler wies die Darstellung der EVG zurück, dass die Bahn mit ihrer Verhandlungstaktik auf Warnstreiks zusteuere. Es stehe außer Frage, wer für die Eskalation die Verantwortung trage. Man erwarte von der EVG nun, dass bei den nächsten Gesprächen am 14. und 15. März «ernsthaft» in die Verhandlungen eingetreten werde. Die offizielle zweite Verhandlungsrunde steht nach EVG-Angaben im April an.

Bereits zuvor hatte Seiler die Erwartungen für die Tarifrunde gedämpft. «Diese Tarifverhandlungen finden in einer besonderen Situation statt», sagte der Personalvorstand. «Wir haben mitten in Europa einen verheerenden Krieg, wir sind in einer Nach-Corona-Phase, wir haben eine hohe Inflation und auch enorme Energiepreise.» Zwar wolle das Unternehmen die Leistungen der Beschäftigten anerkennen. «Wir müssen aber auch die Zukunftsfähigkeit der Deutschen Bahn mit den großen Investitionen, nicht nur in Personal, sondern auch in Fahrzeuge, in Infrastruktur, im Blick behalten.» Das Gesamtvolumen der Forderungen der EVG bezifferte Seiler am Dienstag auf 25 Prozent – das entspräche rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, sagte der Personalvorstand.

Von Christine Schultze und Fabian Nitschmann, dpa