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Buhlen um die Besten: Pharma-Fachkräfte in Grenznähe gesucht

Apr 3, 2023
Eine Fachkraft steht an einer Abfüll- und Verschließanlage für pharmazeutische Produkte eines Unternehmens in Singen (Hohentwiel). (Urheber/Quelle/Verbreiter: Silas Stein/dpa)

Bei der Suche nach Fachkräften macht der deutschen Pharma- und Chemiebranche insbesondere an der Grenze zur Schweiz die Konkurrenz aus der Eidgenossenschaft zu schaffen. «Der Wettbewerb um Talente wird immer größer», sagt Christjan Knudsen vom Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg. Er kritisiert eine «Über-Akademisierung» in Deutschland. Betriebe bräuchten «gut ausgebildete, fitte gewerbliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter».

Der verschärfte Fachkräftemangel nahe der Schweiz liegt zum einen an höheren Gehältern, wie eine Umfrage der Deutsche Presse-Agentur in der Branche ergab. Zum anderen verschärfen Fachkräftemangel, eine niedrige Arbeitslosenquote und Wohnungsmangel die Lage. Firmen wie Takeda, Novartis, Evonik und Roche lassen sich daher viel einfallen, um Personal in der Grenzregion zu gewinnen und zu halten. Das können zum Beispiel ein Fahrtkostenzuschuss für den Nahverkehr, Kita-Plätze oder die Übernahme von Umzugs- oder Maklerkosten sein.

Konkurrenz durch Schweizer Unternehmen

Verbände verstärkten in der Region gezielt ihre Ausbildungskampagne, sagt ein Sprecher der Vereinigung Chemie BW. Beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) heißt es, generell habe die Schweiz eine «Sogwirkung» auf Arbeitnehmer in Grenznähe – wegen guter Gehälter und niedrigerer Steuern.

Simone Berger, Personalchefin bei Stada, spricht von einer Gehaltsexplosion in manchen Pharmabereichen: Ausgewählte Spezialisten für Lieferketten etwa verlangten nahezu das Doppelte wie vor fünf Jahren. Auch Experten für Regulatorik seien sehr gefragt. «Natürlich gibt es auch die Konkurrenz durch Schweizer Pharmaunternehmen, die Verträge mit niedrigeren Steuern vor Ort anbieten können.»

Für Takeda sind das deutlich höhere Gehaltsniveau in der Schweiz sowie die geringe Bevölkerungsdichte und der Wohnungsmangel im Süden Baden-Württembergs nur einige Herausforderungen, wie eine Sprecherin erklärt. Hinzu kämen die niedrige Arbeitslosenquote und der damit verbundene Fachkräftemangel. Gerade in industriell geprägten Städten wie Singen werde dringend bezahlbarer Wohnraum benötigt. 40 Prozent der Stellen sind den Angaben zufolge mehr als 60 Tage offen.

Mitarbeiter-Fluktuation in die Schweiz

Eine Evonik-Sprecherin erklärt, dass auch Größe und Bekanntheit eines Arbeitgebers oder eine Vergütung am Standort Rheinfelden oberhalb des Chemietarifs nichts änderten: «Es ist häufig aufwendiger und dauert länger als in anderen Regionen Deutschlands, eine Stelle mit qualifiziertem Personal nachzubesetzen.» Viele Firmen entlang des Hochrheins spürten eine Mitarbeiter-Fluktuation in die Schweiz.

Nach Zahlen der Wirtschaftsregion Südwest pendelten 2021 mehr als 63.000 Menschen aus Deutschland in die Schweiz, mehr als die Hälfte davon aus den Landkreisen Waldshut und Lörrach. Thomas Bösch, Präsident des Arbeitgeberverbands Basler Pharma-, Chemie- und Dienstleistungsunternehmen (VBPCD), sagt: «Der Arbeitsmarkt in der Region Basel ist schon seit Jahrhunderten trinational.» Rund ein Drittel der Mitarbeiter bei den VBPCD-Mitgliedfirmen seien Grenzgänger aus dem französischen und deutschen Umland. Doch nicht nur das Lohnniveau sei in der Schweiz höher, auch die Kosten. Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen werden aus seiner Sicht entscheidend sein, um genügend Personal für die ganze Region gewinnen zu können.

Wettbewerb vor allem in der Produktion

Der Pharmakonzern Novartis etwa hat einen Standort in der Kleinstadt Wehr unmittelbar an der Grenze und spürt starken Wettbewerb vor allem in der Produktion. «Wir nutzen daher alternative Wege, um entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte zu finden», sagt eine Sprecherin und nennt lokale Angebote oder Empfehlungsprogramme als Beispiele. Weniger schwierig sei es bei gut ausgebildeten Kräften. «Hier setzen wir vor allem auf die interne Weiterentwicklung junger Fachkräfte.» Eventuelle Vakanzen sollen so vor allem aus den eigenen Reihen nachbesetzt werden.

Um Mitarbeiter zu finden, werfen Unternehmen einiges in die Waagschale. So bietet Takeda, das neben Singen einen Standort in Konstanz hat, einen Fahrtkostenzuschuss für den Nahverkehr, Gesundheits- und Sportprogramme, eine Pflegezusatzversicherung, Kita-Plätze und übernimmt häufig Umzugs- oder Maklerkosten. Auch andere Firmen berichten von Unterstützungen und außertariflichen Angeboten.

Ein Arbeitsverhältnis in Deutschland biete umfassenden Arbeitnehmerschutz und zusätzliche gesetzliche Familienleistungen, heißt es beim Pharmariesen Roche. Eine Sprecherin von Boehringer Ingelheim sagt: «Sowohl als Land wie auch als Unternehmen punkten wir auch international mit unseren guten Rahmenbedingungen – etwa beim Thema Work-Life-Balance.» Als Argumente für eine Beschäftigung in Deutschland zählten neben niedrigeren Lebenshaltungskosten Dinge wie Elternzeit, Kinderbetreuung, Urlaubs- und Feiertagsregelungen, aber auch betriebliche Regelungen wie flexible Arbeitszeitgestaltung.

Vernetztes Arbeiten ein Plus

Bei berufserfahrenen Experten sei auch der inhaltliche Fokus des Jobs wie ein konkreter Forschungsbereich wichtig. Gerade Ausländer, die in der Schweiz studierten, seien für Wechsel nach Deutschland offen.

Roche mit Standorten quasi in Nachbarschaft auf beiden Seiten der Grenze sieht das sogar als Vorteil, weil die Nähe vernetztes Arbeiten in globalen Teams ermögliche und Entwicklungsoptionen biete. Oft bewerben sich Interessierte sowohl auf Stellen in Deutschland als auch in der Schweiz, wie ein Sprecher berichtet.

Weiter von der Grenze entfernt spielt Konkurrenz aus der Schweiz offenbar weniger eine Rolle. So hat Boehringer in Biberach keine Probleme mit offenen Stellen. Auch beim Darmstädter Pharma- und Technologiekonzern Merck sagen Bewerber laut einer Sprecherin nicht ab, weil sie anderswo mehr verdienen. Seien Qualifikationen wie im Bereich Datenanalyse besonders gefragt, sei man bereit nachzulegen.

Von Marco Krefting und Alexander Sturm, dpa