• Fr. Nov 22nd, 2024

Industrie sieht «Berg» wachsender Herausforderungen

Bundeskanzler Olaf Scholz und BDI-Präsident Siegfried Russwurm am BDI-Tag der deutschen Industrie. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Kay Nietfeld/dpa)

In der deutschen Industrie mit Millionen von Beschäftigten läuten die Alarmglocken. So sagte es Industriepräsident Siegfried Russwurm beim Tag der Industrie. Und er machte deutlich: Die Bundesregierung muss nun liefern. Liefern, um Abwanderungen von Unternehmen ins Ausland zu verhindern – und damit Jobs zu erhalten. Im internationalen Vergleich hohe Energiepreise, ein Mangel an Fachkräften und hohe Kosten für Energiewende und Digitalisierung belasteten die Unternehmen. Dazu kommt eine wirtschaftliche Stagnation in Deutschland.

Von der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigten «Deutschland»-Geschwindigkeit bei Planungs- und Genehmigungsverfahren sei größtenteils nichts zu sehen, machte Russwurm deutlich – und auch nicht vom Jahr der Industriepolitik, das Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angekündigt hatte.

Dabei tun sich Unternehmen eigentlich schwer mit einer aktiven staatlichen Industriepolitik. Die Politik müsse aber nun die richtigen Rahmenbedingungen setzen, und zwar schnell. Das «Delta» zwischen Ambitionen und Umsetzungspraxis werde täglich größer, kritisierte Russwurm. «Einiges läuft komplett in die falsche Richtung.»

«Ungeduld und Unsicherheit» bei Unternehmern

Das Land stehe vor einem «Berg» wachsender Herausforderungen, sagte Russwurm. Die Politik müsse Strukturreformen systematisch anpacken. So müsse es bessere steuerliche Rahmenbedingungen für Investitionen geben. «Ungeduld und Unsicherheit vieler Unternehmerinnen und Unternehmer nehmen zu.» Immer mehr deutsche Unternehmen bis weit in den Mittelstand beschäftigten sich damit, Teile ihrer Wertschöpfung von Deutschland abzuziehen, so Russwurm. Immer mehr Unternehmen seien mit den aktuellen Strompreisen oder Energiepreisen im globalen Wettbewerb überfordert. Der BDI erwarte zügig ein konkret umsetzbares Konzept der Bundesregierung, das dauerhaft eine sichere Versorgung mit Strom zu international wettbewerbsfähigen Kosten gewährleiste.

Habeck hatte einen staatlich subventionierten, geringeren Industriestrompreis vorgeschlagen. Langfristig soll die Industrie von günstigem Strom aus erneuerbaren Energien profitieren. Weil Maßnahmen dazu aber Zeit brauchen, soll es in einer Zwischenphase bis 2030 einen «Brückenstrompreis» geben von sechs Cent pro Kilowattstunde.

Russwurm sagte, es sei gut, dass in der Bundesregierung die Notwendigkeit anerkannt werde, etwas zu tun. Die Frage aber sei ungeklärt, was denn auf der anderen Seite der Brücke genau sei. Das zielt ab etwa auf den aus Sicht der Industrie immer noch schleppenden Ausbau des Ökostroms und einige ungeklärte Fragen, etwa Investitionsanreize zum Bau neuer Gaskraftwerke.

Umstrittener Industriestrompreis

Und der Bundeskanzler? Vor zwei Jahren hatte Scholz, damals als SPD-Kanzlerkandidat, auf dem Tag der Industrie als Ziel einen Industriestrompreis von vier Cent ausgegeben. Davon war bei seiner Rede nichts mehr zu hören. Ein staatlich subventionierter Industriestrompreis ist in der Ampel-Koalition umstritten, vor allem die FDP macht dagegen Front.

Scholz sagte, die Regierung habe einen Plan – einen «Transformationsplan». Sie arbeite am Umbau des Energiesystems und am Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Das «Deutschland-Tempo» der Transformation des Energiesystems sei Gesetz oder werde es bald. Schon heute seien die Entstehungskosten von Energie aus Wind und Sonne deutlich günstiger als die aus allen anderen Energien, sagte der Kanzler und konnte sich einen Seitenhieb auf Länder wie Bayern nicht verkneifen: «Wären wir beim Ausbau der Windkraft im Süden und Westen dort, wo wir im Norden und Osten schon stehen, und hätten wir bereits die erforderlichen Netze, dann hätten wir schon heute deutschlandweit deutlich geringere Energiekosten.»

Scholz sieht Deutschland auf Kurs

Insgesamt aber sieht Scholz Deutschland auf Kurs – die Industrie sieht das anders. «Wer glaubt, die Energiewende könne zur Keimstelle eines neuen Wirtschaftswunders werden, der unterschätzt, dass die Investitionen zu einem großen Teil nur einen bestehenden Kapitalstock ersetzen», sagte Russwurm. Die Energiewende bringe erst einmal kein zusätzliches wirtschaftliches Wachstum – Scholz hatte gesagt, wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz seien hohe Wachstumsraten wie zu Zeiten des «Wirtschaftswunders» in den 50er und 60er Jahren zu erwarten.

Vielen Klima-Aktivisten aber reicht die Klimaschutzpolitik der Regierung bei weitem nicht aus. Am Rande des Tags der Industrie kam es zu Protesten. So wurden Veranstaltungsorte mit oranger Farbe besprüht. «Der Einfluss einzelner Lobbies auf die Politik führt dazu, dass Klimapolitik immer wieder entschärft wird und so die notwendigen Beschlüsse ausbleiben, die den Weg in die Katastrophe ausbremsen können», hieß es von der Klimagruppe Letzte Generation bei Twitter zu der Aktion.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kritisierte die Aktionen. Die soziale Stabilität des Landes und die ökologischen Ziele bräuchten eine wirtschaftliche Grundlage. Die Industrie dürfe beim Umbau nicht behindert und blockiert werden, sondern müsse befähigt werden – Sätze, die zumindest im Saal gut ankamen.

Von Andreas Hoenig, dpa