• Fr. Nov 22nd, 2024

Wie Limos hip wurden – 30 Jahre Bionade

Softdrinks von Marken wie Fritz-Kola, Club-Mate, Spezi oder Bionade sind schon länger angesagt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Ein Blick in einen Getränkemarkt sieht heute anders aus als in den 80er-Jahren. Wo früher Bier, Wasser, Saft und Cola standen, türmt sich heute eine fast unüberschaubare Vielzahl bunter Limonaden, Brausen und Erfrischungsgetränke. Fritzlimo, Club Mate, Fassbrause, Frohlunder, Lemonaid, Proviant, Now …. Viele Limonaden wollen weit mehr sein als ein Durstlöscher, ein Statement für einen bewussten Lebensstil. Und sie zielen längst nicht mehr nur auf Jugendliche, sondern auf Erwachsene. 

Hippe Limos scheinen besonders in Großstädten angesagt. Doch seinen Ursprung hatte der Trend in der fränkischen Provinz. Vor 30 Jahren, am 24. Februar, meldete der bisherige Bierbraumeister Dieter Leipold aus dem 3000-Einwohnerort Ostheim vor der Rhön das Patent für eine neue Limo an: Bionade. 

Aus der Not geboren

«Was Bionade damals auszeichnete, war, dass sie gar nicht als Limonade wahrgenommen wurde», sagt der Psychologe und Marktforscher Jens Lönneker vom Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold Salon. Cola und Fanta seien schon als zu süß verpönt gewesen. Doch bei Bionade fiel die Scheu: natürliche Herstellung, weniger süß, kleinere Flaschen als bei typischen Limos. «Das war aus Sicht vieler Konsument eine ganz neue Getränkekategorie», so Lönneker.

Laut Unternehmensangaben tüftelte Leipold bereits seit den 60er-Jahren an einem neuen Getränk. Doch in den 90ern bekam die Idee besonderen Schwung. Der Familienbrauerei Peter in der bayrischen Rhön ging es wirtschaftlich schlecht. Der Bierkonsum in Deutschland lässt bis heute nach. Trank 2013 im Schnitt jeder Bürger 99 Liter, waren es 2023 noch 83 Liter. Der nachlassende Trend zeigte sich schon in den 90er-Jahren. 

Für Bionade nutzte Leipold sein Bierbrau-Wissen: Bionade wird ebenfalls mit Gerstenmalz gebraut. Nur, dass dabei kein Alkohol entsteht. Nach Vorbild von Bienen wird durch Fermentation aus Zucker Gluconsäure. Auch die Flasche lehnt sich an die Form einer klassischen Bierflasche an. 

Die Geschichte von Bionade hat etwas Märchenhaftes: in Familienunternehmen kämpft ums Überleben. Da kommt die rettende Idee. Doch sie wird zunächst verkannt. Der große Durchbruch bleibt zunächst aus. Dann gewinnt Leipolds Ehefrau im Lotto und steckt das Geld in die Firma. Es folgen ein neues Design, der erste Getränkegroßhandel und schließlich wird Bionade Kult: von der bayrischen Provinz in die Szeneclubs des ganzen Landes. So in etwa lautet die Geschichte, die Bionade gerne erzählt.

Die Getränkeidee sichert heute auch das Einkommen von Landwirten in der Gegend. Viele Felder in der Gegend sind zu Holunderbeerfeldern geworden. Denn Holunder ist laut Unternehmen die beliebteste Sorte. Andere Sorten, die wohl vor 40 Jahren noch nicht für Limos denkbar waren, sind Litschi, Kräuter, Streuobst und Zitrone-Bergamotte. 

Inzwischen ist Bionade nicht mehr eigenständig. Mit einem Umweg über die zum Oetker-Konzern gehörende Radeberger-Gruppe ist die Marke seit 2018 Teil des hessischen Hassia-Konzerns. Trotz Achterbahnfahrten mit zwischenzeitlichen Nachfrageeinbußen scheint Bionade weiter erfolgreich: Im Jahr 2022 erzielte die Marke nach eigenen Angaben ein Umsatzplus von sechs Prozent. 

Zwischen Bio und Biedermeier

«Bionade war eine völlig neue Art von Erfrischungsgetränk. Mit dem niedrigen Kaloriengehalt lag sie sehr vor dem Zeitgeist», sagt Detlef Groß, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke (Wafg) mit Sitz in Berlin.  Viele andere Getränkehersteller zogen nach. Bionade ging gerichtlich gegen optisch ähnliche Produkte vor. Doch auch andere alkoholfreie Szene-Getränke wurden beliebt. So kam 2010 die Kölner Brauerei Gaffel mit einer Fassbrause auf den Markt. Club-Mate begann, Cola als koffeinhaltigem Getränk Konkurrenz zu machen.

Manche Hersteller setzten noch einen drauf und präsentieren sich noch ethischer: nicht nur bio, sondern auch fair produziert und nachhaltig sollen die neuen Limos sein. Vegan sowieso. Sozusagen Trinken für eine bessere Welt. Auch Bionade engagiert sich für Biodiversität und Umweltbildung und bezieht schon seit Jahren CO2-neutralen Strom. Fritz-Kola kam mit einer «Trink aus Glas»-Kampagne gegen Plastikmüll um die Ecke. Einige Hersteller wie Lemonaid und das Premium-Kollektiv schlossen sich 2010 zu einem «Verband korrekter Getränkehersteller» zusammen – von dem allerdings nichts mehr zu hören und lesen ist.

Zielgruppe der «guten Limos» sind unter anderem die sogenannten Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability). Menschen, die gesund und nachhaltig leben wollen. Oft eher abwertend gemeint wird seit Jahren der Begriff «Bionade-Biedermeier» verwendet, um gut situierte Großstädter zu beschreiben, die sich durch nachhaltigen Konsum politisch positionieren. Laut einer Yougov-Umfrage liegt der Anteil von Vegetariern und Veganern bei Fritz-Kola-Kundinnen und -kunden um 50 Prozent höher als in der Gesamtbevölkerung. 

Ablasshandel im Getränkemarkt

Dabei dürfte fraglich sein, wie gesund die Szenelimos wirklich sind. Zwar ist teils weniger Zucker enthalten als in Softdrinks der 80er-Jahre. Manche der Kultgetränke sind nicht mal offiziell eine Limo. Denn für eine Limo muss der Zuckergehalt eigentlich mindestens sieben Prozent betragen. Doch auch die «neuen» Getränke enthalten mehrere Gramm Zucker.

Das Marketing macht einen Unterschied, meint Psychologe Lönneker. Er vergleicht es mit einem Ablasshandel. «Mit den Getränken gehört man wieder zu den Guten und kann trotzdem das leckere Zeug trinken, dass man vorher als ungesund abgelehnt hatte», sagt Lönneker. Ähnliche sogenannte Rationalisierungen sieht er bei Fleischalternativen.

Wie Start-ups versuchen, auf den Trend aufzuspringen

Laut Wafg gibt es keine genaue Zahl, wie viele Produkte als Limos und ähnliche alkoholfreie Getränke in Deutschland angeboten werden. «Wir haben eine hohe Anzahl an Produktneueinführungen, aber nur wenige können sich am Markt behaupten», sagt Geschäftsführer Gross. Der Aufwand, am Markt durchzustarten, sei groß. Der Schlüssel zum Erfolg sei ein gutes Produkt, aber man müsse sich auch mit Lebensmittel- und Verpackungsrecht auskennen. Zudem sei der Limonaden-Markt kein Nischenmarkt. Neben internationalen Konzernen mischten Mineralbrunnen, Brauereien und regionale Hersteller mit. «Start-ups mit Garagengründer-Mentalität haben es daher oft schwer», so Gross.

Zu Erfrischungsgetränken zählen neben Limos auch andere Trendprodukte wie Eistees und Energydrinks. Auch Wasser mit Fruchtzusätzen – heute «Near-Water»-Produkte genannt – ziehen vermehrt in die Getränkemärkte ein. Zwar sind laut Wafg besonders kalorienreduzierte Getränke im Trend, aber klassische Colas und Limos machten den Hauptteil am Markt aus. Etwa 80 Liter Limos und Colas trinken Deutsche pro Kopf und Jahr, so Wafg-Zahlen. Hinzu kommen noch je etwa sechs Liter Schorlen, Wasser mit Aromen, Energydrinks und Brausen sowie zehn Liter Fruchtsaftgetränke.

Psychologe Lönneker sieht Wellen am Markt, die etwa sieben bis zehn Jahre dauern: Mal gehe der Trend eher zu Verzicht und Wasser, mal wieder eher zu Völlerei und aromatisierten, süßen Getränken «Wenn das Leben mühsam scheint, wollen sich viele Menschen bei den Getränken etwas gönnen», sagt Lönneker. Auch gerade sieht er angesichts von gesellschaftlichen Herausforderungen wie Kriegen, Klimawandel und politischen Unruhen einen Trend, sich das Leben zu versüßen. Natürlich mit gutem Gewissen.

Von Vanessa Köneke, dpa