• Fr. Nov 1st, 2024

US-Gesetz zum Tiktok-Verkauf nimmt erste Hürde

Tiktok weist Bedenken stets zurück und betont, man sehe sich nicht als Tochter eines chinesischen Unternehmens. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Damian Dovarganes/AP/dpa)

Ein US-Gesetz, das die Kurzvideo-App Tiktok unter amerikanische Kontrolle bringen soll, hat die erste Hürde genommen. Das Abgeordnetenhaus in Washington nahm es mit einer großen Mehrheit von 352 Ja-Stimmen an. Nun geht es an den US-Senat, wo die Positionen noch unklar sind.

US-Präsident Joe Biden machte bereits deutlich, dass er das Gesetz unterzeichnen würde. Skeptiker verweisen darauf, dass der Plan vermutlich Jahre Gerichte beschäftigen dürfte, weil er mit Blick auf die in der US-Verfassung verankerte Redefreiheit angreifbar sein könnte.

Tiktok ist die einzige international erfolgreiche Online-Plattform, die nicht aus den USA stammt. Das Gesetz könnte zur Verbannung von Tiktok aus amerikanischen App-Stores führen, wenn der Dienst im Besitz des Konzerns Bytedance bleibt. Dieser wird in den USA parteiübergreifend als chinesisches Unternehmen gesehen, das sich entsprechend dem Willen der Kommunistischen Partei Chinas beugen müsse.

Sicherheitsberater: Verbot sei kein Ziel

Bytedance ist laut einem Medienbericht entschlossen, erst alle rechtlichen Mittel gegen ein drohendes Verbot in den USA auszuschöpfen, bevor über einen Verkauf nachgedacht wird. Eine Trennung von Tiktok werde als letzte Option gesehen, schrieb der Finanzdienst Bloomberg am Dienstag unter Berufung auf informierte Personen. In einer ersten Reaktion auf das Votum im Abgeordnetenhaus rief das Unternehmen den Senat auf, die Folgen für die US-Wirtschaft zu bedenken, da sieben Millionen Kleinunternehmen auf der Plattform aktiv seien.

Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte zuvor, es gehe nicht um ein «Tiktok-Verbot», sondern um einen Eigentümerwechsel. «Wollen wir, dass Tiktok als Plattform im Besitz eines amerikanischen Unternehmens ist – oder China gehört?», fragte er bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus am Dienstag. «Wollen wir, dass Daten aus Tiktok – Daten von Kindern und Erwachsenen – hier in Amerika bleiben oder nach China gehen?»

In den USA gibt es – wie auch in Europa – die Sorge, die App könne zum Sammeln von Informationen über Nutzer durch chinesische Behörden oder für politische Einflussnahme missbraucht werden. Regierungen mehrerer Länder sowie die EU-Kommission untersagten die Nutzung von Tiktok auf Diensthandys.

Parteien wollen zusammenarbeiten

Die Abstimmung im Repräsentantenhaus war ein seltener Moment der Eintracht zwischen Republikanern und Demokraten. Nur 65 Abgeordnete stimmten dagegen – 15 von den Republikanern und 50 von den Demokraten. Die bekannte demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez kritisierte, das Gesetz sei überhastet zur Abstimmung gebracht worden und werfe ernsthafte Wettbewerbs- und Datenschutz-Fragen auf.

Im Senat kündigten der Demokrat Mark Warner und der Republikaner Marco Rubio an, zusammenzuarbeiten, damit das Gesetz durch die Kammer kommt. Es würde Bytedance eine Frist von knapp sechs Monaten geben, Tiktok abzustoßen.

Doch Experten wie der frühere Facebook-Sicherheitschef Alex Stamos sind skeptisch. «Wenn das Gesetz in seiner heutigen Form durchkommt, werden die größten Gewinner die Anwälte sein», sagte Stamos im US-Sender CNBC. Denn es werde jahrelang die Gerichte beschäftigen. Als eine bessere Lösung sieht er ein Datenschutz-Gesetz, das grundsätzlich festlegen würde, Daten von Amerikanern dürften nicht aus Ländern wie China oder Russland abgerufen werden.

Kehrtwende bei Trump

Tiktok weist Bedenken stets zurück und betont, man sehe sich nicht als Tochter eines chinesischen Unternehmens. Bytedance sei zu 60 Prozent im Besitz westlicher Investoren. Der Firmensitz liege auf den Cayman-Inseln in der Karibik. Kritiker kontern, dass die chinesischen Gründer bei einem Anteil von 20 Prozent die Kontrolle dank höherer Stimmrechte hielten und Bytedance eine große Zentrale in Peking habe.

Tiktok hat nach eigenen Angaben 170 Millionen Nutzer in den USA. Schon Donald Trump versuchte während seiner Amtszeit als US-Präsident, mit Verbotsdrohungen einen Verkauf des US-Geschäfts von Tiktok an amerikanische Investoren durchzusetzen.

Doch das Vorhaben scheiterte vor allem daran, dass US-Gerichte in den Plänen für ein Tiktok-Verbot einen Verstoß gegen die in der US-Verfassung verankerte Redefreiheit vermuteten. Auch ein aktuelles Gesetz im Bundesstaat Montana, das Tiktok dort aus den App-Stores verbannen sollte, liegt deswegen auf Eis.

Trump ist inzwischen von den Verbotsforderungen abgerückt. Tiktok sei ein wichtiges Gegengewicht zu Facebook, das er als einen «Feind des Volkes» betrachte, sagte Trump jüngst bei CNBC.

Tiktok gelobt Besserung – Kongress bleibt misstrauisch

Bevor sich Biden klar positionierte, waren die Demokraten im Bezug auf Tiktok stark gespalten: Denn zum einen will der Präsident eine harte Position gegenüber China einnehmen, zum anderen ist die App bei jungen Nutzern populär, deren Stimmen er für eine Wiederwahl im November braucht. Bidens Wahlkampf-Team eröffnete erst vor wenigen Wochen einen Tiktok-Account.

Das «Wall Street Journal» schrieb, das Management von Tiktok sei von dem Gesetzentwurf kalt erwischt worden. Der Dienst versucht seit Jahren, in den USA Vertrauen zu gewinnen mit dem Plan, Informationen amerikanischer Nutzer ausschließlich im Land zu lagern und Datenbewegungen von einem US-Partner überwachen zu lassen. Doch bei Anhörungen im US-Kongress schlug Tiktok-Chef Shou Chew unverändert heftiges Misstrauen entgegen. In einem verzweifelten Versuch, das Gesetz zu stoppen, ließ Tiktok vor wenigen Tagen Nutzer aus der App heraus die Büros von Abgeordneten aus ihrem Wahlbezirk anrufen, um dagegen zu protestieren.

Chinas Außenministerium warf den USA vor, Tiktok zu schikanieren. Dieses Verhalten untergrabe die internationale Wirtschafts- und Handelsordnung und werde am Ende für die USA ins Auge gehen, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin in Peking. Trotz nie gefundener Beweise für eine Gefahr für die nationale Sicherheit habe Washington nie aufgehört, Tiktok zu verdrängen, fuhr er fort.

Von Andrej Sokolow, dpa