• Fr. Nov 22nd, 2024

Legalisierung light bringt Cannabis-Firmen in Bedrängnis

Cannabisblüten zur medizinischen Behandlung. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Boris Roessler/Deutsche Presse-Agentur GmbH/dpa)

Die Erwartungen an die Legalisierung waren riesig. Einer der größten Märkte für den Freizeitkonsum weltweit könnte entstehen, schwärmten Cannabis-Firmen. Fachgeschäfte in deutschen Fußgängerzonen statt Verbotspolitik, legaler Verkauf statt Dealer, Kiffen raus der Schmuddelecke. In der Hoffnung auf lukrative Geschäfte drängten Start-ups in den Markt.

Prominente wie Mario Götze, Moritz Bleibtreu und der US-Rapper Snoop Dogg investieren in Cannabis-Firmen. Die Legalisierung schien das nächste große Ding und Deutschland als großer Markt auch aus ausländischer Sicht verheißungsvoll. Längst liefen sich Anbieter aus der Schweiz, Kanada und den USA warm.

Legalisierung nur light

Nun hat nach dem Bundestag auch der Bundesrat den Weg für eine Teillegalisierung ab 1. April freigemacht. Doch mit den Beschlüssen ist klar, was sich seit Monaten abzeichnete: Die Teillegalisierung für den Freizeitkonsum geht lange nicht so weit, wie im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien angepeilt war. Zwar soll Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen werden, wo es bisher neben anderen Drogen als verbotene Substanz geführt und mit Strafvorschriften belegt ist. Besitz und Eigenanbau begrenzter Mengen sollen für Volljährige schon in wenigen Tagen erlaubt sein. Und in Vereinen sollen Mitglieder die Droge anbauen und gegenseitig abgeben dürfen. Der einstige Plan aber, Cannabis in Fachgeschäften an Erwachsene zu verkaufen, wurde vertagt. Das soll zunächst in Modellprojekten erprobt werden – Ausgang ungewiss.

Teillegalisierung dämpft Euphorie

Das bringt manche Cannabis-Firmen in Bedrängnis, beobachten Branchenexperten. Längst ist die Goldgräberstimmung Ernüchterung gewichen. Um neue Cannabis-Geschäftsideen von Schauspielern oder Fußballern ist es ruhig geworden.

Klar ist: Einen Freizeitmarkt mit Cannabis-Läden wie in den Niederlanden und einigen US-Bundesstaaten wird es in Deutschland vorerst nicht geben. Zwar begrüße er die Entscheidung des Gesetzgebers, sagt Alessandro Rossoni, Gründer der Medizin-Cannabisfirma Nimbus Health. Aber: «Dass der Eigenanbau nun begrenzt erlaubt wird, hilft der Branche nicht». Gleiches gelte für Cannabis-Clubs. Einige Cannabis-Firmen seien in Schwierigkeiten geraten, andere verschwunden oder aufgekauft worden. So rutschten Fachmedien zufolge mehrere Cannabis-Reimporteure in die Pleite.

Der Verband Cannabiswirtschaft sieht dennoch Aufwind für die Branche. «Eigenanbau und Anbauclubs als Möglichkeiten zur Selbstversorgung sind zwar an sich nicht kommerziell, sie benötigen jedoch Infrastruktur, Ausstattung und Dienstleistungen», sagte jüngst Lisa Haag vom Fachbereich Technik, Handel & Dienstleistungen.

Viele Start-ups in Schwierigkeiten

Angesichts des Hypes um die Freigabe ist zudem ein Markt um allerlei (legale) Cannabis-Produkte entstanden – von Hanfduschgels über Hanftee bis Cremes. In München etwa eröffnete ein «Hanf-Megastore», der auf 800 Quadratmetern rund 1000 Produkte rund um Cannabis anbietet. Manches davon wie Hanfliköre fällt aber eher in die Spaßabteilung.

«Die Meinungen, ob die Teillegalisierung der Branche überhaupt noch hilft, gehen weit auseinander», sagt Rossoni, dessen Firma Teil des börsennotierten Arzneiherstellers Dr. Reddy’s ist und sich auf Cannabis-Fertigarzneien konzentriert. Jedenfalls sei die Wachstumsstory rund um eine Volllegalisierung vieler Start-ups zusammengebrochen.

Höhere Zinsen und knausrige Investoren

«Wir sehen keine nennenswerten Neueintritte von Firmen mehr in den Markt», beobachtet Jakob Sons, Mitgründer von Cansativa. Das hessische Unternehmen handelt mit medizinischem Cannabis, Jahresumsatz rund 17 Millionen Euro. Erschwerend dazu kommen gestiegene Zinsen und vorsichtige Investoren – das Umfeld für Start-ups ist generell rauer geworden. «Einigen Firmen geht die Puste aus», sagt Sons. «Wir beobachten erste Insolvenzen im Markt. Die Konsolidierung schreitet voran.»

Sons sieht in der Teillegalisierung dennoch Vorteile. Der Beschluss des Bundesrats bedeute für Cansativa enorme Planungssicherheit. «Es ist kein großer Wurf, aber ein wichtiger Schritt im globalen Trend zur Entstigmatisierung von Cannabis.» Da Cannabis ab April aus dem Betäubungsmittelgesetz genommen werden solle, könnten Ärzte medizinisches Cannabis leichter verschreiben.

Die Vorbehalte von Medizinern sind nach wie vor groß. «Mit der Teillegalisierung rechnen wir mit deutlich mehr Cannabis-Patienten in Deutschland», meint sein Bruder und Gründungspartner Benedikt Sons. Daher habe man sich bei Investitionen auf den Medizinbereich konzentriert. Für alle Partner im Verteilungsprozess – vom Anbauer über den Händler bis zur Apotheke – werde die Entscheidung zu bürokratischer Erleichterung und Wachstum führen, glaubt er.

Cannabis auf Rezept

Cannabis als Arznei hat schon seit der Liberalisierung 2017 einen Boom erlebt. Kranke können sich den Stoff vom Arzt verschreiben lassen, etwa gegen Spastiken bei Multipler Sklerose oder chronische Schmerzen sowie bei Beschwerden nach Krebs-Chemotherapien. Laut dem Marktforscher Insight Health bekamen 2023 rund 77.000 Cannabis-Patienten in Deutschland mindestens ein Rezept. Dazu kommen private Selbstzahler. Doch die Dokumentationspflichten für Ärzte sind bisher groß. Hier werde die Teillegalisierung helfen, erwartet auch Rossoni von Nimbus Health. «Die Akzeptanz bei Ärzten dürfte steigen.»

Schon seit der Freigabe von Cannabis auf Rezept gab es Spekulationen über eine Liberalisierung auch im Freizeitkonsum. Doch die Zweifel an der Umsetzung sind groß. Kiffen im öffentlichen Raum etwa soll unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon verboten werden – konkret in 100 Metern Luftlinie um den Eingang. Und die Cannabis-Clubs sind als nichtkommerzielle Vereine zu organisieren und brauchen eine Erlaubnis, die befristet gilt. Werbung ist tabu, auch Cannabis-Konsum direkt vor Ort. Geregelt sind überdies Dokumentationspflichten. Rossoni ist skeptisch. «Ob sich das alles als praxistauglich erweist, muss sich noch zeigen.»

Von Alexander Sturm, dpa