Sehnsucht nach dem Sommerurlaub: Die wiedererwachte Reiselust der Verbraucher verschafft Tui mehr finanzielle Luft und soll den staatlich geretteten Konzern nach der Corona-Krise stabilisieren. Mehr Kunden entschieden sich in den vergangenen Monaten für eine Buchung beim Branchenprimus – trotz der Rekordinflation und eines drohenden Wirtschaftsabschwungs, der auf die Einkommen der Haushalte durchschlagen könnte. Noch profitierte Tui von höheren Preisen vieler eigener Angebote, und die Nachfrage nach längeren sowie höherwertigen Aufenthalten zog an.
2023 soll es weiter aufwärtsgehen. Die Buchungseingänge werden kurzfristiger, weil Kunden bei Bedarf oft noch vor dem Urlaubsantritt umplanen wollen. Für den laufenden Winter entwickelten sich die Buchungen gut, hieß es am Mittwoch. Tui sieht aber auch verschiedene Risiken.
Coronahilfen sollen zurückgezahlt werden
Der Vorstand um den neuen Konzernchef Sebastian Ebel will dennoch bald die Rückzahlung der Hilfen angehen, mit denen der Bund den Touristikriesen während der Pandemie vor dem Untergang bewahrt hatte. Die erwarteten Gewinne aus dem Reisegeschäft reichen dafür noch nicht aus. Deshalb sollen Aktionäre erneut frisches Geld zuschießen. Die Börse gab sich zunächst wenig überzeugt, der Tui-Kurs rutschte ab.
Unterm Strich fiel 2021/2022 (bis Ende September) zwar immer noch ein Verlust von 277 Millionen Euro an – dieser konnte jedoch auf etwa ein Zehntel des Vorjahreswerts gedrückt werden. Ohne Zinsen, Steuern und weitere Faktoren blieben 409 Millionen Euro als Gewinn, 2020/2021 hatte Tui auf dieser Basis mehr als 2 Milliarden Euro verloren.
Die Menschen wollen wieder verreisen
Durch das Comeback des Sommerurlaubs bei den Europäern arbeitete sich das Unternehmen schrittweise aus den Problemen heraus. «Der Sommer war stark», sagte Ebel in London. «Wir sind dankbar und zufrieden, dass wir ein wirklich gutes Quartal hatten. Und wir sehen, dass die Bereitschaft zu reisen so hoch ist wie vor Corona.» Die Teuerung verringere in manchen Kundengruppen die Konsumneigung, Flugausfälle verursachten Sonderkosten. Einen neuen Einbruch erwarte Tui aber nicht: «Der Kunde wird gucken, dass er in seinen Budgets bleibt.»
Im Vergleich dazu hätten die Reisebeschränkungen in vielen Ländern im Vorjahr das Geschäft noch «ziemlich lahmgelegt. Jetzt sehen wir eine Rückkehr zur Normalität.» Tui erreichte im Sommer 2022 inzwischen 93 Prozent des Gästeaufkommens aus der Vor-Corona-Zeit, die erzielten Preise waren im Schnitt knapp ein Fünftel höher als zur Hauptsaison 2019. Im zurückliegenden Gesamtjahr lag der Umsatz mit 16,5 Milliarden Euro rund dreieinhalb Mal so hoch wie im Jahr davor.
«Wenn man bedenkt, dass auch der letzte Winter ein Komplettausfall war, ist unser Ergebnis doch sehr erfreulich», sagte Ebel. In allen Sparten – Hotels, Airlines, Kreuzfahrten und Veranstaltungen – erholte sich das Geschäft. Für die eigene Fluggesellschaft Tuifly hatte Ex-Konzernchef Fritz Joussen ein Sparprogramm aufgelegt, das intern hoch umstritten war und die Flottengröße an der Kapazität im schwächeren Winter ausrichtet. «Das heißt, dass wir jetzt besser atmen können, wenn es Nachfragerückgänge gibt», erklärte Ebel. Außerdem besitzt Tui zahlreiche Hotels nicht mehr direkt selbst, sondern organisiert in erster Linie nur noch deren Betrieb.
Nicht nur Pauschalreisen im Angebot
Neue Chancen sehen die Hannoveraner in individuell buchbaren Direktangeboten zum Beispiel für Flüge, Unterkünfte, Rundreisen, Ausflüge oder Mietwagen. Diese sollen die klassische Pauschalreise ergänzen. «Deutschland war der erste Markt dafür, auch in anderen Ländern werden wir das ausrollen», so Ebel. Bei der Vorstellung des nächsten Sommerprogramms hatte Tui kürzlich erklärt, dass viele Kunden zudem besonders an All-Inclusive-Paketen interessiert seien.
Das Jahr 2023 könne solide und gut werden, glaubt die Tui-Führung. Ebel betonte, man sei sich der «externen Marktfaktoren sehr bewusst» – dazu gehören die konjunkturellen Folgen des Ukraine-Krieges ebenso wie die Corona-Nachwehen, der allgemeine Preisschock und starke Währungsschwankungen. Doch Erlös und Betriebsergebnis sollen zulegen. Finanzchef Mathias Kiep schränkte ein: «Die Unsicherheiten erlauben uns heute noch nicht, eine konkrete Orientierung zu geben.»
Die Job-Situation scheint sich wieder zu entspannen. Ende September lag die Zahl der Beschäftigten mit rund 61 000 um gut ein Fünftel über dem Vorjahr. Tui hatte in der Krise aber auch viele Stellen gestrichen und kommt daher von einem geringeren Ausgangsniveau.
Nach der Rettung durch den Staat 2020 musste der Konzern zusätzliche Zinskosten für Darlehen schultern. Nun kündigte er die nächsten Schritte zur Rückzahlung der Hilfen an. Bis Ende 2023 sollen mindestens 730 Millionen Euro plus Zinsen zurückfließen, das nötige Geld will Tui mit der Ausgabe neuer Aktien zusammenbekommen.
Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes hatte in der Hochphase der Corona-Pandemie unter anderem auch die Lufthansa gestützt. Die Tui will überdies ihren Kreditrahmen bei der Staatsbank KfW, der sich derzeit auf 2,1 Milliarden Euro beläuft, reduzieren.
Die Nettoverschuldung sank zuletzt deutlich um etwa 1,5 Milliarden auf 3,4 Milliarden Euro. «Wir wollen die Kapitalerhöhung auch nutzen, um unsere Verbindlichkeit bei der KfW zurückzuführen», erklärte Kiep. Zunächst müsse man auf die tatsächliche Lage im Winter schauen: «Wie viel brauchen wir, wie viel Puffer müssen wir im Unternehmen haben?»