Die Chancen, dass Deutschland ohne Gasengpässe durch den Winter kommt, haben sich nach Einschätzung der Bundesnetzagentur spürbar verbessert.
«Eine Gasmangellage in diesem Winter wird zunehmend unwahrscheinlich», prognostizierte die Aufsichtsbehörde in ihrem aktuellen Lagebericht zur Gasversorgung. Erstmals seit Mitte Juni veränderte die Netzagentur darin ihre Lagebeurteilung. Bislang hatte die Behörde die Situation als «angespannt» bewertet. Nun urteilte sie, die Lage sei «weniger angespannt als zu Beginn des Winters».
Der Hintergrund: Drei Monate nach Beginn der Heizperiode liegt der Füllstand der deutschen Gasspeicher noch immer bei mehr als 90 Prozent – 14 Tage nacheinander ist zuletzt sogar zusätzliches Gas eingespeichert worden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte dazu bei einem Besuch im norwegischen Oslo: «Das gibt uns nicht komplette Sicherheit, über den Winter zu kommen. Aber es zeigt doch, dass die Anstrengungen der Vergangenheit sich gelohnt haben.» Zudem sei man in einer Situation, die Ende des vergangenen Jahres nach dem Abbruch der russischen Gaslieferungen nicht zu erwarten gewesen sei.
Keine Entwarnung
Die Bundesnetzagentur warnte allerdings, dass eine Verschlechterung nicht auszuschließen sei. Ein sparsamer Gasverbrauch bleibe wichtig. Bei einer Gasmangellage bekämen die Industrie und andere Teile der Wirtschaft nicht mehr so viel Gas, wie sie wollen, sondern nur noch das, was ihnen vom Staat zugeteilt wird – die Firmen müssten ihre Produktion dann wohl drosseln. So eine Situation gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit der von der Bundesnetzagentur leicht modifizierten Bewertung der Lage wird deutlicher, dass so ein industrielles Horrorszenario vorerst keine Realität wird.
Die positive Entwicklung hat mehrere Gründe. Zum einen hat Deutschland schlichtweg Glück gehabt: Der Winter ist bislang relativ milde, daher laufen Gasheizungen nicht auf Hochtouren. Außerdem erhöhte Deutschland angesichts des russischen Lieferstopps seine Importe aus anderen Quellen, an Deutschlands Küste wurden in Windeseile Flüssigerdgas-Terminals gebaut. Vor wenigen Tagen kam ein erster LNG-Tanker am neuen Terminal in Wilhelmshaven an. Das Terminal für Flüssigerdgas in Lubmin soll in der kommenden Woche die letzte ausstehende Betriebsgenehmigung erhalten.
Mehr Flüssiggas gekauft, Verbrauch gesunken
Alles in allem wurde viel mehr Flüssiggas vom Weltmarkt gekauft als zuvor üblich. Das war angesichts stark steigender Gaspreise eine teure Sache, aber mit Blick auf die drohenden Schäden für die Wirtschaft notwendig. Außerdem zahlten sich Sparanstrengungen aus: Die Bürgerinnen und Bürger verbrauchten deutlich weniger Gas. Dem Lagebericht der Bundesnetzagentur zufolge lag der Gasverbrauch in der vergangenen Woche 30 Prozent niedriger als der Durchschnitt dieser Kalenderwoche in den vergangenen vier Jahren.
Dabei half allerdings auch das Wetter: Die Woche war den Angaben zufolge 3,8 Grad wärmer als in den Vorjahren. Den Temperatureffekt herausgerechnet, kommt die Bundesnetzagentur auf einen um 20,4 Prozent niedrigeren Verbrauch in den vergangenen beiden Wochen (Kalenderwoche 51 und 52), und zwar im Vergleich zum Referenzwert der vergangenen vier Jahre.
Großhandelspreise fallen
Auch in Sachen Gaspreis gibt es positive Entwicklungen: Im Großhandel fiel der Preis zuletzt deutlich. Das entlaste aber vor allem den Staatshaushalt, der weniger Geld für die Gaspreisbremse aufwenden muss, sagt Georg Zachmann von der Denkfabrik Bruegel. Die Kunden würden von den niedrigeren Großhandelspreisen erstmal nur sehr begrenzt profitieren, da der Preis etwa auf Höhe der jetzt aktivierten Gaspreisbremse liege. Das sei immer noch das Vier- bis Fünffache der Preise vor der Krise.
Auch der Energieexperte Thomas Engelke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen dämpft Hoffnungen der Verbraucher auf eine rasche Entlastung bei den Energiekosten. «Selbst wenn die Großhandelspreise für Gas weiter niedrig bleiben – was keineswegs sicher ist -, kann es für viele Verbraucherinnen und Verbraucher noch bis Mitte oder Ende des Jahres dauern, bis die Preissenkung bei ihnen ankommt.» Grund dafür seien die meist länger laufenden Bezugsverträge in der Gasbranche.