Manche Ideen für clevere KI-Lösungen entstehen in der heimischen Küche. Wenn auf dem Ceran-Kochfeld etwas überläuft oder man versehentlich etwas auf dem Bedienfeld ablegt, macht der Sensor bisher einen lauten Piepton. «Mit KI lässt sich das deutlich verbessern», glaubt Gunther Kegel, der mit seiner Firma Pepperl und Fuchs aus Mannheim Sensoren für die Industrie liefert.
«Der Sensor lernt, übergelaufene Feuchtigkeit von einem Finger zu unterscheiden.» Und irgendwann brauche man womöglich nicht einmal mehr den Finger. «Zukünftig können wir das Ceranfeld vielleicht über Sprachsteuerung bedienen», sagt Kegel. Dann müsse man nur noch sagen: «Platte eins, Stufe acht.»
Noch ist die sprechende Herdplatte Zukunftsmusik. Doch vieles ist mit KI schon heute möglich. Und die Entwicklung schreitet rasant voran. «KI wird in Zukunft Handbücher aus vorhandenen Daten zusammenstellen können und fertige Produkte mit der zuvor geplanten Spezifikation abgleichen», sagt Kegel, der im Ehrenamt auch Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) ist. «Auch das Einlesen und Verarbeiten von Rechnungen, eingehenden Schreiben, Kundenbeschwerden lässt sich per KI automatisieren.» Am Ende werde immer noch ein Mensch einen Blick darauf werfen. «Routinen sowie ermüdende Arbeiten kann die Maschine erledigen.» Das werde die Effizienz deutlich steigern.
«ChatGPT für Ingenieure»
Was in der Industrie heute schon möglich ist, wird ab Montag auch auf der Hannover Messe (22. bis 26. April) zu sehen sein: Maschinen, die Fehler automatisch erkennen, Roboter, die eigenständig lernen, Anlagen, die selbst ermitteln, wann der beste Termin für ihre eigene Wartung ist. Siemens zeigt seinen entwickelten «Industrial Copilot», der gemeinsame mit Microsoft entwickelt wurde. Eine Art «ChatGPT für Ingenieure», mit dem sich Industrieroboter per Sprache steuern lassen, wie es Messechef Jochen Köckler in Anspielung an den erfolgreichen Chatbot auf den Punkt bringt.
Und anders als noch vor wenigen Jahren geglaubt, seien solche Lösungen inzwischen einsatzfähig, sagt Köckler, der KI in diesem Jahr zu einem der Themenschwerpunkte der weltgrößten Industrieschau gemacht hat. «Die Geschwindigkeit, mit der KI-Lösungen ihren Weg in die Industrie finden, ist atemberaubend», sagt er. «Das Tempo ist enorm, die Auswirkungen werden gewaltig sein.» Das biete der Industrie auch die Chance, trotz Arbeitskräftemangels weiterzuwachsen. Und gerade ChatGPT zeige, welche Kraft KI entwickeln könne. «Wenn ich das auf die Industrie übertrage, hat das eine Wirkung, die sich heute noch gar nicht abschätzen lässt.»
Milliarden-Schub für deutsche Industrie erwartet
Vieles davon sei schon heute Realität, berichtet ZVEI-Chef Kegel. In seinem Unternehmen etwa setze er schon seit Jahren KI in Sensoren ein, etwa bei der Bildverarbeitung und bei der Signalauswertung der komplexeren Sensoren. Der Kamerasensor lerne dabei, eine Schraube sicher zu erkennen, ohne dass zuvor alle denkbaren Schraubenköpfe als Vorlage hinterlegt werden müssten. Und auch beim Erfassen eingehender Rechnungen oder im automatischen Bestellwesen komme bei ihm bereits KI zum Einsatz.
«Durch generative KI und sprachgesteuerte Anwendungen wie ChatGPT nimmt der Einsatz von KI noch einmal zusätzlich Fahrt auf», ist Kegel überzeugt. Vor allem der Einsatz in Produkten biete gewaltige Chancen für die deutsche Industrie. «Wenn wir das geschickt machen, kann das zum Alleinstellungsmerkmal werden, mit dem die deutsche und europäische Industrie international punkten kann.»
Laut einer Studie, die das Forschungsinstituts IW Consult im Auftrag von Google erstellt hat, könnte KI der deutschen Industrie einen Schub in Milliardenhöhe verleihen: Um fast acht Prozent könnte die Bruttowertschöpfung dadurch steigen. Das entspräche 56 Milliarden Euro allein im verarbeitenden Gewerbe. Für die gesamte Wirtschaft wurde die mögliche Wertschöpfung mittels KI sogar auf 330 Milliarden Euro geschätzt.
Sorge um EU-Regulierung
Europa müsse aber aufpassen, diese Chance nicht durch zu strenge Regeln zu verspielen, warnt Kegel. Zwar habe man beim jüngst verabschiedete KI-Gesetz der EU, das in rund zwei Jahren voll greifen soll, noch einige Verbesserungen erzielen können. Es sei aber nach wie vor nicht geklärt, was am Ende wirklich als Risiko-KI einzustufen sei. «Bei strenger Auslegung wird selbst ein einfaches Ceran-Kochfeld, das einen KI-Baustein für den Sensor im Bedienfeld nutzt, zur kritischen Hochrisiko-Anwendung», warnt Kegel. «Das kann nicht im Sinne der Richtlinie sein.» Dies müsse man nun bei der Umsetzung in deutsches Recht verhindern. «Es darf nicht alles in einen Topf geworfen werden. Sonst wird die Regulierung zur massiven Innovationsbremse.»