Droht den Autobauern eine neue Klagewelle im Dieselskandal? Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem März könnte dafür der Auslöser sein – aber die große Frage ist, wie die deutschen Gerichte nun damit umgehen. Sie warten gespannt darauf, welche Linie der Bundesgerichtshof (BGH) vorgibt. Heute verhandelt der Karlsruher «Dieselsenat» drei Musterfälle. Ob gleich im Anschluss ein Urteil verkündet wird, ist offen.
Nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung haben Diesel-Kläger Anspruch auf Schadenersatz, wenn der Hersteller Behörden und Kunden beim Schadstoffausstoß bewusst hinters Licht geführt hat – so wie Volkswagen mit seinem Skandalmotor EA189. Hier wurde eine Betrugssoftware so programmiert, dass Millionen Autos im Test weniger giftige Abgase ausstießen als tatsächlich im Straßenverkehr.
Der EuGH hängt die Latte nun deutlich niedriger: Nach seinem Urteil kann schon der fahrlässige Einsatz einer unzulässigen Abgastechnik ausreichend sein, um Schadenersatz-Ansprüche auszulösen. Zwar sei es Sache der jeweiligen EU-Staaten, dafür die Modalitäten festzulegen. Die Luxemburger Richterinnen und Richter weisen aber darauf hin, «dass die nationalen Rechtsvorschriften es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten».
Bringt das EuGH-Urteil die Wende?
Damit rücken auf einen Schlag viele weitere Diesel-Autos auch anderer Hersteller in den Fokus, bei denen die Abgasreinigung wegen verschiedenster Funktionalitäten ebenfalls nicht durchgängig gleich gut arbeitet. Schon länger klagen auch hier viele Autokäufer auf Schadenersatz – bisher war das aber ein schwieriges Unterfangen.
Ob das EuGH-Urteil die Wende bringt, muss sich allerdings erst zeigen. Noch sind viele Fragen offen: Welche Formen der Abgastechnik sind überhaupt unzulässig? Das müssen Gerichte in jedem Einzelfall klären. Ist dem Käufer durch deren Einsatz ein Schaden entstanden? Und wenn ja: Was für ein Schadenersatz wäre hier angemessen?
Schon im VW-Abgasskandal war es so, dass Betroffene zwar berechtigt waren, den Kauf rückabzuwickeln. Auf den Preis des Autos mussten sie sich aber dessen Nutzung anrechnen lassen – wer viel gefahren ist, bekommt wenig oder gar nichts mehr. Dafür ist das Auto weg, ein neues unter Umständen teuer. Zu klagen war also nicht für jeden attraktiv. Die meisten Gerichtsverfahren endeten deshalb mit einem Vergleich.
Ein weiterer Punkt: Viele Funktionalitäten, die jetzt im Verdacht stehen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sein, wurden so vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) genehmigt. Die BGH-Richter wollen sich auch mit der Frage befassen, ob diese behördliche Genehmigung von den Zivilgerichten noch einmal überprüft werden kann oder aber bindend ist. Schließlich hatten sich Hersteller und Kunden darauf verlassen.
Drei sehr unterschiedliche Fälle
Die Einschätzungen aus Karlsruhe werden dringend erwartet, denn wegen der unklaren Rechtslage liegen bundesweit seit Monaten massenhaft Diesel-Verfahren auf Eis. Vermutlich um möglichst viele Konstellationen abdecken zu können, haben die Vorsitzende Richterin Eva Menges und ihr Senat drei sehr unterschiedliche Fälle ausgewählt:
– Einmal geht es um einen Mercedes-Diesel mit einem Thermofenster und einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung. Hier führt die verzögerte Erwärmung des Motoröls zu einem geringeren Schadstoffausstoß. Das Thermofenster sorgt dafür, dass die Verbrennung von Abgasen direkt im Motor je nach Außentemperatur zeitweise gedrosselt wird. Unabhängig vom Hersteller sind Thermofenster bei Diesel-Autos weit verbreitet.
– Der zweite Kläger hatte einen VW Passat mit dem Motor EA288 gekauft. Zu diesem Nachfolger des EA189, der in Millionen Dieseln steckt, gibt es noch kein höchstrichterliches Urteil. Das Auto hat neben einem Thermofenster auch eine Fahrkurvenerkennung.
– Das dritte Auto ist ein Audi mit einem leistungsstarken Motor (EA896Gen2BiT), zu dem es ebenfalls noch kein BGH-Urteil gibt. Hier hatte das KBA eine Abschalteinrichtung beanstandet und ein Software-Update angeordnet – noch bevor der Kläger das Auto kaufte.