• Fr. Nov 22nd, 2024

Grüne-Minister im Regenwald – Abholzung soll gestoppt werden

Wirtschaftsminister Robert Habeck und Ernährungsminister Cem Özdemir in Brasilia vor ihrem Abflug nach Manaus. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Britta Pedersen/dpa)

Es sind riesige Dimensionen. Das Amazonasgebiet erstreckt sich über neun Länder Südamerikas und eine Entfernung wie von Berlin bis Bagdad. Ein großer Teil des Gebiets – in der Größe Westeuropas – liegt in Brasilien. Die «grüne Lunge», die jede Menge Kohlenstoff speichert, ist aber schon lange bedroht, mit möglichen schwerwiegenden Folgen für das Weltklima.

Die neue brasilianische Regierung hat angekündigt, die illegale Abholzung stoppen zu wollen – ein Hoffnungszeichen. Am Dienstag wollen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck und Agrarminister Cem Özdemir (beide Grüne) eine Gemeinschaft des indigenen Volkes der Kambeba besuchen, gelegen am Rio Negro, knapp 60 Kilometer entfernt von der Amazonas-Metropole Manaus – falls das Wetter mitspielt.

Die Kambeba stellen eine der indigenen Gruppen dar, die aufgrund von Diskriminierung und Gewalt aufgehört hatten, sich selbst als Indigene zu identifizieren – und ihre Identität mit dem Erstarken der indigenen Bewegung und der brasilianischen Verfassung in den 1980er Jahren wiederentdeckten.

Für Habeck ist es eine Premiere im Regenwald. Man könne zwar auch Videokonferenzen machen, sagte Habeck am Montag in Brasilia – aber: «Es macht schon einen Unterschied, ob man mal in einem Windpark gestanden hat, wenn man über Windenergie redet.» Und natürlich mache es einen Unterschied, auch mal einen Regenwald gesehen zu haben, wenn man über den Schutz des Regenwaldes rede. Es werde sicherlich ein Abstecher auf der Reise, der dann auch «unmittelbaren politischen Einfluss» haben werde.

Im Januar schon war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im Amazonas-Regenwald, sie besuchten einen Klimamess-Turm. Die deutsche Reisediplomatie hat einen Grund: der neue brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva galt zwar in seinen ersten beiden Amtszeiten (Anfang 2003 – Ende 2010) nicht als Umweltpolitiker, hat aber versprochen, dem Umwelt- und Klimaschutz Priorität einzuräumen.

So besuchte Lula etwa am Montag das indigene Schutzgebiet «Raposa Serra do Sol», wo bis zum Dienstag rund 2500 Indigene aus dem Bundesstaat Roraima an der Grenze zu Venezuela und Guayana zu einer Generalversammlung zusammenkommen. Not und Elend bei den indigenen Yanomami hatten die brasilianische Regierung im Februar dazu gebracht, gegen illegale Goldgräber in deren Gebiet vorzugehen. Lulas Vorgänger Jair Bolsonaro hatte die Ausbeutung des Amazonasgebiets befürwortet.

Die Abholzung des Regenwaldes schreitet voran

Habeck hat die Pläne der brasilianischen Regierung unter Lula, das Abholzen des Regenwalds bis 2030 zu stoppen, auf seiner Brasilien-Reise schon mit emotionalen Worten bedacht: «Ich jedenfalls kann Tränen in die Augen bekommen, dass eine Regierung das Ruder so rumreißt.» Allerdings schreitet die Abholzung des Regenwalds voran – in deutschen Diplomatenkreisen war mit Blick auf die Auswertung von Satellitenbildern im Februar, auf denen die vorläufige Zahl von Bränden gezählt werden, von einer besorgniserregenden Lage die Rede, auch weil die Brandsaison noch gar nicht begonnen hat. Unter der Regierung des rechten Bolsonaro wurden Umwelt- und Kontrollbehörden systematisch geschwächt. Durch die abgeholzten Flächen werden neue Weideflächen und Ackerland etwa für den Soja-Anbau und die Rinderzucht geschaffen.

Die Zerstörung des Regenwalds sei dramatisch, sagte Roberto Maldonado, Lateinamerika-Experte beim WWF Deutschland. 18 Prozent des Waldes seien bereits gerodet. Experten fürchteten, dass bei einer Zerstörung von 20 bis 25 Prozent ein unumkehrbarer Kipppunkt erreicht sein könnte. Die freigesetzte Menge an CO2 wäre so groß, dass man das Ziel, die Erderwärmung bei 1,5 Grad weltweit zu begrenzen, vergessen könnte. «Der Regenwald ist eine gigantische Klimaanlage, Regenmaschine und eine gewaltige Kohlenstoffsenke.» Wenn es nicht gelinge, den Wald zu retten, werde sich der Süden des Kontinents in eine Art Sahelzone in Lateinamerika verwandeln. «Dann können die Rinderzüchter und Sojabarone ihr Geschäftsmodell vergessen. Ohne Regen ist keine Landwirtschaft möglich. Und das Erreichen der weltweiten Klimaschutzziele ist dann ohnehin eine Illusion.»

Wie passen Handel und Schutz des Regenwaldes zusammen?

Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur nehme die Zerstörung des Regenwaldes faktisch in Kauf, sagte Maldonado. «Es reicht nicht, darauf zu verweisen, dass der Vertrag ein Kapitel zu Sozial- und Umweltstandards beinhaltet.» Was fehlt, seien Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen. Barbara Konner, Hauptgeschäftsführerin der Auslandshandelskammer São Paulo, sagte, es sei für Deutschland wichtig, im Rahmen des Abkommen seine eigenen Klimaschutzziele zu erreichen. BDI-Präsident Siegfried Russwurm forderte einen zügigen Abschluss des Abkommens. Damit rücke der südamerikanische Markt enger an Europa, hiesige Regeln und Normen.

Das Abkommen ist eigentlich ausverhandelt, es gibt zig Bestimmungen etwa über den Abbau von Zöllen. Man müsse nun schauen, wie das Ziel Lulas, die illegale Abholzung des Regenwaldes zu stoppen, gesichert werde, sagte Habeck bei den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen in Belo Horizonte. In Brasilia sagte er, das Abkommen dürfe nicht dazu führen, dass ein erweiterter Handel zu einer erhöhten Abholzung des Regenwaldes führe. Die Regierung Lula habe selbst ein Interesse daran, dass das Abkommen entsprechend wirksam sei. «Jetzt schauen wir uns noch einmal an, welche konkreten Maßnahmen schon in dem Abkommen drinstehen, wie sie weiter ausgedeutet werden können und ob weitere Maßnahmen notwendig sind.»

Von Andreas Hoenig und Martina Farmbauer, dpa