Preiserhöhungen auf immer breiterer Front setzen Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland zu. Im Oktober kletterte die Jahresinflationsrate auf 10,4 Prozent. Das Statistische Bundesamt bestätigte eine erste Schätzung. Es war der stärkste Anstieg seit etwa 70 Jahren. «Hauptursachen für die hohe Inflation sind nach wie vor enorme Preiserhöhungen bei den Energieprodukten. Aber wir beobachten zunehmend auch Preisanstiege bei vielen anderen Waren und Dienstleistungen», erläuterte Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes, am Freitag.
Im September war eine Inflationsrate von 10,0 Prozent verzeichnet worden. Hohe Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, diese können sich für einen Euro weniger leisten. Das kann den Privatkonsum als wichtige Konjunkturstütze dämpfen.
Einer Umfrage zufolge wollen viele Menschen in diesem Jahr beispielsweise an Weihnachtsgeschenken sparen. Bei einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov gab Anfang November mehr als die Hälfte der Teilnehmer an, diesmal weniger für Präsente ausgeben zu wollen oder im Gegensatz zu früher ganz darauf zu verzichten. Für viele Händler sind die Wochen vor dem Fest die wichtigsten des Jahres.
Volkswirte rechnen aktuell nicht mit einer schnellen durchgreifenden Entspannung bei den Preisen. Nach Einschätzung von Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, ist eine nachhaltige Entlastung ab Frühjahr 2023 mit dem Inkrafttreten der Gaspreisbremse zu erwarten. «Die Chancen sind gut, dass damit ab März zweistellige Inflationsraten für Deutschland endgültig der Vergangenheit angehören.» Auch nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen dürfte die Gaspreisbremse den Anstieg der Inflation dämpfen.
Die Bundesregierung will die größten Härten für Bürger und Wirtschaft mit Entlastungspaketen und einem 200-Milliarden-Euro-Programm inklusive der spätestens ab März geplanten Gaspreisbremse abfedern.
Hohe Energiepreise treibenInflation weiter an
Im Oktober schoben hohe Energiepreise (plus 43 Prozent) die Inflation weiter an. Beispiel Erdgas: Die Preise haben sich mit einer Steigerung von 109,8 Prozent mehr als verdoppelt. Fernwärme kostete 35,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die auf 7 Prozent verringerte Umsatzsteuer für Erdgas und Fernwärme aus dem dritten Entlastungspaket sei durch die erneuten Preisanstiege überkompensiert worden, erläuterten die Statistiker.
Für Nahrungsmittel mussten Verbraucherinnen und Verbraucher 20,3 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor. Der Preisauftrieb hat sich hier seit Jahresbeginn sukzessive verstärkt. Auch für die Wartung und Reparatur von Wohnungen (plus 14,8 Prozent) und Pauschalreisen (plus 12,3 Prozent) mussten die Menschen tiefer in die Tasche greifen.
Inflationsraten auf dem derzeitigen Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie. In den alten Bundesländern wurden Raten von 10 Prozent und mehr Anfang der 1950er Jahre gemessen, allerdings hat sich die Berechnungsmethode im Laufe der Zeit geändert.
EZB strebt Teuerungsrate von zwei Prozent an
Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich mit kräftigen Zinserhöhungen gegen die Rekordinflation im Euroraum. Die Währungshüter streben für den Euroraum mittelfristig Preisstabilität bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent an. Im gemeinsamen Währungsraum lagen die Verbraucherpreise im Oktober um 10,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Es war die höchste Teuerungsrate seit Einführung des Euro als Buchgeld 1999. In Deutschland lag der für die Geldpolitik der Notenbank maßgebliche Index HVPI im Oktober bei 11,6 Prozent zum Vorjahresmonat.
In den USA scheint der Höhepunkt der Inflation dagegen bereits überschritten zu sein. Im Oktober stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,7 Prozent. Der Preisauftrieb verringerte sich damit das vierte Mal in Folge.
«In Deutschland dürfte der Inflationsdruck erst im ersten Quartal des neuen Jahres und damit rund ein halbes Jahr später als in den USA nachlassen – was vor allem den Folgen der durch den Krieg ausgelösten Energiekrise zuzuschreiben ist», analysierte Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck. Deutschland ist besonders abhängig von Energieimporten und bekommt deshalb die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine deutlich zu spüren. Zudem hatte die US-Notenbank Fed mit ungewöhnlich großen Zinsschritten ein rasantes Tempo im Kampf gegen die Inflation vorgelegt.