Kurz vor Beratungen des Europäischen Rats hat Finanzminister Christian Lindner für strenge EU-Schuldenregeln unabhängig vom Zweck der Kredite geworben. «Wir brauchen einen verlässlichen, berechenbaren Weg zu niedrigeren Defiziten in jedem Jahr und geringeren Schuldenquoten insgesamt», sagte der FDP-Politiker heute nach einem Treffen mit dem italienischen Finanzminister Giancarlo Giorgetti in Rom.
Dabei betonte er: «Schulden sind Schulden», egal, ob sie für die Finanzierung der grünen Transformation, für Verteidigung oder andere Zwecke aufgenommen würden.
Reform sinnvoll oder nicht?
Der Europäische Rat berät in der kommenden Woche über eine Reform der strengen Regeln für staatliche Defizite und Schulden. Der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakts schreibt bisher eine Obergrenze des Schuldenstands von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung sowie ein maximales Haushaltsdefizit von drei Prozent dauerhaft vor. Wegen der Corona-Krise waren die Regeln zuletzt ausgesetzt, die Ausnahmen sollen aber zum Jahresende auslaufen.
Die EU-Kommission pocht zugleich auf eine Reform: Es wäre unsinnig, einfach zur Anwendung der bestehenden Regeln zurückzukehren, als wäre nichts geschehen, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch. Man müsse die neue Realität nach der Pandemie und die Realität des andauernden Krieges in der Ukraine anerkennen.
Statt einheitlicher Vorgaben für alle Länder könnten etwa individuelle Pfade für jedes Land kommen, um Schulden und Defizite mittelfristig zu senken. Außerdem gibt es den Vorschlag, Kredite zu bestimmten Zwecken wie Klima- und Verteidigungspolitik von den Schuldenregeln auszunehmen.
Die Debatte über diese Reform sei in der EU noch nicht abgeschlossen, betonte Lindner. Er kritisierte deshalb auch die jüngsten Haushalts-Leitlinien der Kommission. Sie betrachte das Jahr 2024 für die fiskalischen länderspezifischen Empfehlungen als Übergangsjahr von den aktuellen Regeln zu einem reformierten Regelwerk.
Lindner von Plänen nicht begeistert
«Damit greift sie den laufenden Verhandlungen vor, dies ist aus meiner Sicht inakzeptabel», betonte der Finanzminister. Solange es keine Einigung auf ein neues Regelwerk gebe, müsse das bisherige Recht gelten. Dass die Kommission jetzt Regeln zugrunde lege, über die noch keine Einigkeit bestehe, gefährde das Vertrauen in den Verhandlungsprozess.
Zugleich bedauerte Lindner, dass nicht bereits in diesem Jahr mögliche Defizitverfahren eingeleitet werden, «damit wir schnell auch auf den Pfad nachhaltig tragfähiger Staatsfinanzen zurückkehren». Eine Rückkehr zu der Regelung schon in diesem Frühjahr hätte «ein wichtiges Bekenntnis zu einem regelbasierten System» sein können, sagte Lindner. «Diese Chance hat die Kommission leider vertan.»