Die Führungsetage börsennotierter deutscher Topunternehmen ist einer Studie zufolge so weiblich wie nie seit Beginn der Auswertung im Jahr 2013. Am stärksten ist der Wandel bei den 40 Börsenschwergewichten des deutschen Leitindex Dax. Das Prüfungs- und Beratungsunternehmen EY sieht insgesamt allerdings noch viel Luft nach oben. Nach Einschätzung der gemeinnützigen Allbright-Stiftung könnten vor allem kleinere und mittlere börsennotierte Unternehmen beim Wettbewerb um Top-Managerinnen ins Hintertreffen geraten.
Erstmals sitzt EY zufolge in der Mehrheit der 160 untersuchten Firmen der Dax-Familie wenigstens eine Managerin im Vorstand. Zum Stichtag 1. Januar 2023 war in 83 Unternehmen mindestens ein Vorstandsmitglied weiblich. Allerdings dominieren in der Summe weiterhin Männer das Führungsgremium.
«Genug Managerinnen, die sich behaupten können»
«Es tut sich etwas in den Vorständen, immer mehr Top-Managerinnen schaffen es in die Spitzengremien der börsennotierten Unternehmen Deutschlands», sagte EY-Experte Markus Heinen. Die Entwicklung sei aber weiter sehr langsam. «Es bleibt bei allem Positiven der Eindruck, dass der Fortschritt schneller gehen könnte und müsste.» Rein rechnerisch sieht sich derzeit eine Frau sieben Männern im Vorstand gegenüber. «Dabei gibt es genug Managerinnen, die sich in Führungspositionen behaupten können», argumentierte Heinen.
Zum Stichtag waren 109 der insgesamt 705 Vorstandsmitglieder der 160 Firmen weiblich – 17 mehr als ein Jahr zuvor. Der Frauenanteil stieg um 2,3 Prozentpunkte auf 15,5 Prozent. Es war der höchste Stand seit der ersten Auswertung im Sommer 2013. An die Spitze des Vorstandes schaffen es bislang aber nur wenige Frauen. Von 160 Topposten sind neun von Managerinnen besetzt.
Ob es Frauen in die Führungsetage schaffen, ist nach Einschätzung Heinens sehr oft auch eine Frage der Unternehmenskultur. Von Firma zu Firma unterscheide sich, wie schwer der Weg nach ganz oben sei: «Auch wenn sich klassisch ausgeprägte Rollenverständnisse in den vergangenen Jahren durchaus stark verändert haben, sind weibliche Mitarbeiterinnen heute noch immer stärker etwa auf flexible Arbeitszeitangebote angewiesen als ihre Kollegen.»
«Die besten Köpfe sichern – gerade die weiblichen»
Die gemeinnützige Allbright-Stiftung sieht inzwischen wachsende Konkurrenz um Topmanagerinnen. «Mehr denn je geht es jetzt darum, sich neu und besser aufzustellen und sich dafür die besten Köpfe zu sichern – auch und gerade die weiblichen», mahnten Stiftungs-Geschäftsführer Wiebke Ankersen und Christian Berg unlängst. Den Dax-Unternehmen sei das zuletzt am besten gelungen. Für mittlere und kleinere Unternehmen, die noch keine Frau im Vorstand hätten, werde es dagegen schwieriger.
Am größten ist der Frauenanteil EY zufolge aktuell mit 21,2 Prozent in den Vorstandsetagen der 40 Dax-Konzerne. 85 Prozent haben mindestens eine Frau in dem Führungsgremium. Bei der Neubesetzung freiwerdender Vorstandsposten kämen in der obersten deutschen Börsenliga immer häufiger Managerinnen zum Zuge. Demnach wurden im vergangenen Jahr im Dax 22 neue Vorstandsmitglieder berufen, elf davon waren Frauen.
«Zielgröße Null» muss begründet werden
Bei den 50 Firmen des Indexes für mittelgroße Werte (MDax) waren zum Stichtag 12 Prozent der Vorstandsmitglieder weiblich, bei den 70 Unternehmen des SDax 12,4 Prozent.
Börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten und mehr als drei Vorständen müssen bei Neubesetzbesetzungen in dem Gremium inzwischen darauf achten, dass mindestens eine Frau in der Führungsetage sitzt. Das Mindestbeteiligungsgebot gilt bei Bestellungen ab dem 1. August 2022. Andere börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen, die nicht unter die Mindestvorgabe fallen, müssen begründen, wenn sie ihren Vorstand ohne Frauen planen – wenn sie also eine «Zielgröße Null» in ihren Berichten angeben.
Nach Einschätzung der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden, Elke Hannack, wirkt die Frauenquote dort, wo sie gilt. «In einer überschaubaren Anzahl von Unternehmen sind frauenfreie Vorstände in Zukunft passé.» Die Quotenregelung müsse für deutlich mehr Firmen gelten, forderte Hannack.
EY zufolge sind Frauen im Vorstand vor allem für operative Funktionen (32 Prozent der Vorständinnen), das Personalressort (25 Prozent) und für Finanzen zuständig (20 Prozent). Nach Angaben der Allbright-Stiftung war das Finanzressort in der Vergangenheit häufiger Sprungbrett für den Vorstandsvorsitz.