Es knirscht gewaltig, wenn eine gigantische Walze Tausende Uhren plattmacht: Glas splittert, Gehäuse bersten. Solche Zerstöraktionen veranstaltet der Schweizer Uhrenindustrieverband FH. 15.000 Stück waren es vor zwei Jahren. Die Ware? Gefälschte Markenartikel wie von Rolex, Breitling oder Patek Philippe. Der Kampf gilt kriminellen Banden, die damit Milliarden verdienen. Schweizer Uhren werden gern kopiert, weil sie weltweit gefragt sind.
Der Verband legt Exportzahlen für das vergangene Jahr vor. 2021 schaffte die Branche Rekordexporte von gut 22 Milliarden Franken (heute etwa gleich Euro). Es gab einmal Schätzungen, wonach doppelt so viel gefälscht wie exportiert wird, aber die wahre Zahl weiß niemand.
Mit dem wachsenden Onlinehandel nähmen auch die illegalen Geschäfte zu, sagt Yves Bugmann, Leiter der FH-Rechtsabteilung. Das habe in der Pandemie, als noch mehr Leute den Onlinehandel entdeckten, noch einen Schub bekommen. Die Detektive des Verbands entdeckten jährlich rund eine Million unseriöse Angebote, die dann über die Plattformbetreiber aus dem Netz genommen würden.
Verein will Verbraucher sensibilisieren
Ein Klassiker bei Touristen ist die Rolex für 20 oder 30 Dollar vom Straßenmarkt oder Strand in Asien. So etwas zu kaufen, sei kein Kavaliersdelikt, wie viele meinten, sagt Eveline Capol, Leiterin der Geschäftsstelle des Schweizer Vereins Stop Piracy. «Sie unterstützen damit die organisierte Kriminalität.» Der Verein will Verbraucher sensibilisieren. Viele kämen ins Nachdenken, wenn sie erführen, dass Fälscherware unter übelsten Bedingungen hergestellt werde. Kinderarbeit kann nicht ausgeschlossen werden.
Die Industriestaatenorganisation OECD hat für die Schweizer Uhren- und Schmuckhersteller 2021 Milliardenverluste durch Fälschungen errechnet. Schon 2018 seien ihnen 1,7 Milliarden Euro entgangen. Die EU schätzt, dass nachgeahmte Produkte – also auch Kleidung, Werkzeug oder Medikamente – fast sieben Prozent ihrer Einfuhren ausmachen. «Sie sind eine bedeutende Einnahmequelle für kriminelle Vereinigungen», berichtete sie 2021.
Für den Uhrenverband sind laut Bugmann weltweit Hunderte Anwälte und Ermittler tätig, auch bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar. «Wir konnten die Märkte reinigen.» Vor dem Start der WM hätten Detektive gefälschte Ware in Läden ausfindig gemacht. Die Polizei sei dann mit Razzien gefolgt. «Zusammen mit unseren Partnern beschlagnahmen wir jedes Jahr zwei bis drei Millionen Uhren und Begleitmaterial wie Schatullen oder Garantiescheine», sagt Bugmann.
Es ist eine gigantische Zahl, aber der Fachjournalist Thomas Gronenthal, der sich seit Jahren mit dem illegalen Markt beschäftigt und nach eigenen Angaben Fälscherfabriken in China besucht hat, lacht darüber. «Das ist die Spitze eines Eisbergs», sagt er. «Für jeden Hersteller oder Händler, dem das Handwerk gelegt wird, tauchen gleich drei neue am Horizont auf.» Nach seiner Beobachtung wird viel Gefälschtes in geschlossenen Gruppen in sozialen Medien verkauft. «Manchen Leuten machen Dinge, die kriminell riechen, auch Spaß. Das ist ein bisschen wie Steuerhinterziehung.»
«Superklone» und «Frankenwatch»
In solchen Gruppen geht es nicht um die Strand-Rolex, sondern oft um «Superklone»: Fälschungen von hoher Qualität, die auch mal ein paar Tausend Euro kosten. Das ist immer noch ein Bruchteil des Preises vieler echter Uhren. Manche Teilnehmer besäßen sogar auch Originale. «Die haben es nicht nötig, mit einer Fälschung auf dicke Hose zu machen», sagt Gronenthal. Sie bestellten etwa, um die falsche Rolex im Urlaub zu tragen. Das echte Stück sei im Safe. Neben den Superklonen gibt es auch die «Frankenwatch» – in Anlehnung an das Monster von Frankenstein, das aus Leichenteilen geschaffen wurde: Uhren, die teils aus echten, teils aus nachgemachten Teilen bestehen.
Der Uhrenverband schult Polizei und Zollbehörden in vielen Ländern, damit sie mehr Gefälschtes erkennen und aus dem Verkehr ziehen. Beim Schweizer Zoll steigen die Zahlen zwar deutlich: 2020 wurden gut 50 Prozent mehr Warensendungen abgefangen als im Jahr davor. 2021 waren es erneut 35 Prozent mehr. In absoluten Zahlen waren es etwa 2021 vergleichsweise wenig: 5959 Sendungen – angesichts von Hunderttausenden Paketen, die allein die Post jeden Tag bearbeitet.
Der Zoll sei überall überfordert, sagt Gronenthal. Er schult selbst Pfandhäuser oder Juweliere, die gebrauchte Ware verkaufen, damit sie Gefälschtes erkennen können. Er nutze zu Demonstrationszwecken selbst Plagiate. «Ich habe in den letzten Jahren sicher 300 Stücke bestellt – nicht ein einziges Mal ist eine Sendung konfisziert worden.» Die Ware werde aus China oft über Länder nach Europa gebracht, die für laxe Zollkontrollen bekannt seien, Spanien etwa.
Hotspots für den Umschlag gefälschter Uhren sind nach Angaben von Bugmann die Arabischen Emirate, die Türkei und Länder in Asien. «Auch überall, wo es Tourismus gibt.» Hersteller sitzen nach Angaben der OECD vor allem in China (gut 53 Prozent) und Hongkong (24 Prozent). Mit weitem Abstand folgen Singapur und die Türkei.