Die von Verbrauchern wahrgenommene Inflation und die offiziell erfasste Rate weichen in Deutschland besonders stark voneinander ab. Die gefühlte Inflationsrate habe im Mai mit 18 Prozent fast dreimal so hoch gelegen wie die tatsächlich ermittelte (6,1 Prozent), teilte der Kreditversicherer Allianz Trade in Hamburg mit. «Das ist nicht unerheblich, denn die gefühlte Inflation beeinflusst das Handeln der Verbraucher stark, zum Beispiel beim Kaufverhalten», sagte Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade. Diese Diskrepanz spiele daher gerade für Wirtschaft und Unternehmen sowie für die Zinspolitik eine wichtige Rolle.
Das Abweichen der gefühlten von der offiziellen Inflation habe verschiedene Gründe. So achteten Verbraucher beispielsweise stärker auf Preisänderungen bei häufig anfallenden Einkäufen wie Lebensmitteln und Getränken, Kraftstoffen oder sonstigen Besorgungen im Supermarkt. «Wenn dort diese Preise überdurchschnittlich steigen, neigen die Menschen dazu, eine wesentlich höhere Teuerung zu empfinden.» Aber auch psychologische Aspekte, demografische und regionale Unterschiede und individuelles Konsumverhalten könnten dazu führen, dass Verbraucher den Preisanstieg anders beurteilten als die offizielle Messung. «So entstehen ein verzerrtes Bild und eine starke Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen und tatsächlichen Inflation.»
In Deutschland zählen insbesondere Lebensmittel seit Monaten zu den Preistreibern: Nahrungsmittel verteuerten sich laut Statistischem Bundesamt im Mai binnen Jahresfrist um 14,9 Prozent.
Inflation: Große Unterschiede in Europa
Doch nicht nur bei der gefühlten, auch bei der offiziellen Inflation gibt es laut der Studie große Unterschiede in Europa. Im Mai reichte demnach die Spanne von 2,8 Prozent in Griechenland über 13 Prozent in Polen bis 21,5 Prozent in Ungarn. Zum Vergleich: Die Inflation in der Eurozone betrug 6,1 Prozent und die gefühlte Rate zuletzt fast 17 Prozent, so Allianz Trade.
«Schlüsselfaktoren bei der Inflation sind die geografische Nähe zu Russland, die Abhängigkeit von Energie- und Lebensmittelimporten, staatliche Eingriffe zur Senkung einzelner Preise und die Stärke der jeweiligen Währung», erläuterte Gröschl. In Deutschland spielten alle Faktoren eine Rolle. Die große Energie-Abhängigkeit von Russland verteuerte die Rechnung dafür stark – die Bundesregierung steuerte mit Strom- und Gaspreisbremsen dagegen. In der Eurozone habe zudem ein schwacher Euro zum Dollar die Inflation erhöht, da Rohstoffe wie Öl oder Gas, die in Dollar gehandelt werden, teurer geworden seien.
Außergewöhnlich niedrig war die Inflation im Nicht-EU-Land Schweiz mit 2,2 Prozent im Mai. Sie profitiere unter anderem vom starken Franken, der die Inflation über die Importpreise dämpfe, hieß es.