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Wie Firmen Fachkräfte aus aller Welt anlocken

Dez 21, 2022
Eine Mitarbeiterin der Terrot GmbH montiert die Stricknadeln für eine Großrundstrickmaschine. Der Hersteller von Strickmaschinen steht wie viele deutsche Maschinenbauer vor dem Problem des Fachkräftemangels. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jan Woitas/dpa)

Letztlich gibt es keine Alternative, da ist sich Robert Czajkowski sicher. Schon jetzt klaffen in der Belegschaft seiner Chemnitzer Firma Terrot Lücken, die mit Nachwuchs aus Deutschland nicht zu stopfen sind und auch nicht mit Kollegen aus EU-Staaten. Künftig bräuchten alle auch Beschäftigte aus ferneren Ländern, erwartet der Chef des Herstellers von Rundstrickmaschinen. «Sie müssen das Problem lösen, denn andere Wege gibt es nicht.» Aber für die meisten deutschen Arbeitgeber hat diese Zukunft noch nicht begonnen, auch nicht für Terrot.

Obwohl drei von vier Unternehmen über Fachkräftemangel klagen, versuchen es bisher nur 17 Prozent mit Anwerbung im Ausland, das hat eine gerade veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung ergeben. Einige Gründe sind hausgemacht, wie der deutsche Papierkrieg um Visa, Diplome und Berufserfahrung – hier plant Arbeitsminister Hubertus Heil Vereinfachungen.

Deutschland ist nicht immer die erste Wahl

Trotzdem ist Deutschland für gut ausgebildete Fachleute nicht immer erste Wahl, nicht nur wegen der komplizierten Sprache. «Der Spirit Einwanderungsland ist in Deutschland noch nicht da», sagte jetzt die Chefin der Bundesarbeitsagentur, Andrea Nahles, dem Portal t-online. Gerade abseits der Metropolen sind die Hürden hoch, im Osten noch etwas höher als in Westdeutschland.

Manager Czajkowski unterstützt die Initiative «Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen», die nach ausländerfeindlichen Vorfällen für eine Willkommenskultur wirbt und bei der Integration hilft. Auch Chemnitz machte im August 2018 Schlagzeilen mit Ausschreitungen gegen Menschen, die aussahen wie Migranten. Das schlechte Image Sachsens ist aber nicht der Grund, warum Terrot bisher die Anwerbung von Fachkräften in Drittstaaten scheut. «Wir haben uns diesen Schritt noch nicht zugetraut», sagt der 53-jährige Geschäftsführer.

Bürokratie und Kosten

Da ist der lange Bewerbungsprozess, die Anerkennung von Ausbildungen, die Bürokratie, die Kosten. «Selbst um einen einfachen Mitarbeiter zu finden, müssen Sie sich eines Headhunters bedienen», sagt Czajkowski. Dann bräuchten die neuen Mitarbeiter eine Wohnung, Sprachunterricht, Hilfen bei der Ankunft. «Wenn wir nach vier Wochen feststellen, die Person ist fachlich oder persönlich nicht geeignet, dann haben wir enorme Schwierigkeiten.»

Dazu kommt die Erfahrung: Wo wenige Ausländer leben, ziehen auch wenige dazu, weil sich Ankommende die Unterstützung der Community erhoffen. In kleinen Städten gibt es weniger Anknüpfungspunkte, im Osten ist der Effekt noch etwas stärker. Sarah Pierenkemper vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat die Zahlen: 2021 kamen nach ihren Worten 15.000 Fachkräfte im Zuge der Bildungs- und Erwerbsmigration nach Ostdeutschland – bundesweit waren es 140.000.

Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg arbeiten in Westdeutschland derzeit zwei Millionen Menschen aus Nicht-EU-Staaten in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung – das entspricht einem Anteil von 7,5 Prozent. Die Zahl liegt um 700 000 höher als noch 2017. In Ostdeutschland ist der Anteil 5,3 Prozent. Allerdings hat sich die absolute Zahl seit 2017 auf 336 563 sogar verdoppelt.

Ostdeutschland hole kräftig auf, sagt Vanessa Ahuja, zuständiges Vorstandsmitglied der Bundesagentur, der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist wichtig und gut, denn der demografische Wandel greift in West wie Ost. Wir brauchen zugewanderte Fachkräfte aus Drittstaaten, damit der deutsche Arbeitsmarkt weiter gut funktioniert.»

Nach Einschätzung der IW-Expertin Pierenkemper hängt viel vom persönlichen Einsatz der Firmen ab, die neuen Mitarbeiter wirklich zu umsorgen, auch bei der Wohnungssuche, bei der Jobsuche für Partner. «Man muss sich vergegenwärtigen, dass eine Person nicht nur zum Arbeiten nach Deutschland, sondern auch hier leben möchte», sagt die Expertin.

Einer, der damit gute Erfahrungen gemacht hat, ist Frank Walter, Ausbildungsleiter der Firma HBS Elektroanlagenbau in Oettersdorf. Der Ort bei Schleiz in Thüringen hat 881 Einwohner. Der erste Ausländer sei dort so etwa vor zehn Jahren aufgetaucht, erinnert sich der 37-jährige Walter. Seither hat sich vieles verändert. Denn HBS hat nach Walters Worten inzwischen rund 350 junge Leute aus dem Ausland im eigenen Schulungszentrum ausgebildet.

Wo ist denn hier die Metro?

Angefangen hat es mit Anwerbungen in Spanien – aber da zahlte der Lehrherr erstmal Lehrgeld. Es kamen, so erinnert sich Walter, junge Leute aus Madrid nach Schleiz und fragten: Wo ist denn hier die Metro, wo ist das Fußballstadion? «Die haben sich hier nicht richtig wohlgefühlt.» Als nächstes folgten Rumänen und Bulgaren, später Ukrainer, Weißrussen, Russen und andere. Die Firma geht in den Herkunftsländern in Schulen, bietet dort einen Crashkurs in Deutsch und ein zweiwöchiges Probearbeiten. Sie macht Elternabende – denn sie sucht explizit Auszubildende – und stimmt die jungen Leute darauf ein, was sie erwartet: ländliche Umgebung mitten in Thüringen, bildschön und sehr entlegen.

«Bei uns hat es gut funktioniert», sagt Walter. «Wir haben aber auch wirklich viel Energie reingesteckt.» Trotz des enormen Aufwands lohne sich das für die Firma, denn sie bekomme ihre 30 bis 40 Lehrstellen pro Jahr voll und schrumpfe nicht. Wenn die jungen Leute erstmal im Sportverein oder im Ort integriert seien, dann blieben sie auch – nicht alle, aber doch viele, weiß der Ausbildungsleiter.

Oettersdorf hat sich damit arrangiert. Walter erzählt von einem älteren Herren, der ganz begeistert war, als zwei mazedonische Jungs ihm bei einer Autopanne halfen. Und auch Bürgermeister Jürgen Tens freut sich über die Azubis aus der Ferne. «Es gibt gute Beispiele dafür, dass sich auch ausgelernte Auszubildende vor Ort integrieren und sich am Gemeinwesen beteiligen», lässt er seine Sprecherin ausrichten.

Von Verena Schmitt-Roschmann und Michael Donhauser, dpa